Chile- auf der Carretera Austral
Chile, es geht weiter
So, jetzt bin ich mit dem Schreiben noch nicht ganz im Takt doch habe jetzt genug Abstand zu Deutschland und zu Afrika gefunden. Anfangs machte ich den Fehler, mein jetziges Reisen mit dem Reisen in Afrika zu vergleichen. Das ist natürlich nicht möglich. Die Straßen in Chile und auch die gesamte Infrastruktur sind eher mit europäischen Maßstäben zu messen. Selbst auf den Pisten gibt es Hinweisschilder und Verkehrszeichen und die Autofahrer halten selbstverständlich an einer roten Ampel. Auch ein LKW und Bus fordert nicht die Vorfahrt auf Grund seiner Größe ein. Hier in Chile laufen einem die Deutschen täglich über den Weg, wenn nicht als Person, dann aber in Form deutscher Namen oder Einrichtungen. In Puerto Montt gibt es sogar ein Einwanderungsdenkmal für Deutsche Auswanderer.
Auf der Insel Chiloe taucht plötzlich ein „Tante Emma“ Laden auf. Ein deutscher Club in Puerto Montt gehört genauso dazu wie „Schweinebraten mit Rotkohl –für die Bayern: mit Blaukraut- und Knödel„ und nicht zu vergessen die „Bratwurst mit Sauerkraut“ Die Brauerei Kunstmann aus Valdivia macht Werbung mit dem Slogan „Das gute Bier“ und im spanischen Text taucht dann das Wort „Reinheitsgebot“ auf. Der Ausdruck „Kaffee und Kuchen“ hat sich sogar eingebürgert und ist auf vielen Schildern am Straßenrand zu sehen.
Dazu passt auch die bereits schon erwähnte Beschriftung auf den Fahrzeugen der Feuerwehr in Valparaiso auf der Fahrzeugfront mit „Feuerwehr“ und an den Türen mit „Bomba Germania Stadt Valparaiso“, wobei Bomba glücklicherweise nichts mit Bomben zu tun hat sondern die Feuerwehr bezeichnet.
Von den 17 Millionen Chilenen sollen etwa 500000 deutsche Vorfahren haben und 10% von ihnen sprechen noch Deutsch als ihre Muttersprache.
Mit der „Colonia Dignidad“ haben Deutsche allerdings auch eine negative Seite in Chile gezeigt. Die Colonia Dignidad ist ein auslandsdeutsches, festungsartig ausgebautes, von einer Sekte bewohntes Siedlungsareal. Die Einrichtung wurde mehrfach von deutschen Politikern besucht und von FJS soll lange ein signiertes Portrait in der Empfangshalle gehangen haben und viele haben die Einrichtung gerühmt, verdrängend, dass sie von einem aus Deutschland vor der Strafverfolgung geflohenem gegründet wurde. Zur Zeit der Pinochet Diktatur wurde die Einrichtung zu einem Mittäter der Diktatur. Auch wurden hier zig Gegner des Regimes gefangen gehalten, gefoltert und getötet. Bis heute ist das Geschehen um die Colonia Dignidad noch nicht restlos aufgearbeitet. Der ehemalige Sektenchef Schäfer wurde später in Chile inhaftiert und ist inzwischen verstorben.
Die Zeit der Militärdiktatur unter Pinochet war auch Anlass zu einigen Diskussionen. Auch heute gibt es etliche Chilenen, die dieser Zeit hinterher trauern und die wirtschaftlichen Gewinne über die Verletzungen der Menscherechte des Folterstaates stellen. An einer dieser Diskussionen waren ein ehemaliger Polizist und ein Unternehmer beteiligt. Die Unternehmer wurden hofiert und die Polizisten brauchten nicht zu befürchten für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen zu werden, sofern sie im Sinne des Regimes handelten. Eine Diskussion mit jungen Studenten zeigt mir aber auch das andere Bild, die keinerlei Verständnis für die Verherrlichung dieser Zeit zeigen. Einhellige Meinung war, dass man keineswegs die wirtschaftlichen „Erfolge“, von denen auch nur wenige besonders hohen Nutzen hatten, der Freiheit und Demokratie opfern darf.
Meine Reiseroute soll mich von Santiago nach Ushuaia auf Feuerland führen.
Der Südzipfel Amerikas ist schon seltsam aufgeteilt. Argentinier müssen, wollen sie auf dem Landweg nach Feuerland über Chile reisen und auch die Chilenen müssen den Umweg über Argentinien nehmen, da der Perito Moreno Gletscher bisher den Ausbau der Strasse verhindert.
Mein Weg nach Süden führte mich an einem der schönsten Vulkane der Erde vorbei, dem schneebedeckten Osorno, auch als Fuji Chiles bezeichnet.
Weiter ging es nach Puerto Montt, einer in meinen Augen attraktiven Stadt –andere Reiseführer sehen das anders- und dann auf die Insel Chiloe. Hier verbrachte ich fast eine Woche und genoss die Langsamkeit des Reisens. Am Südende der Insel endet auch die legendäre Pan America die sich gerne mit dem Zusatz Alaska –Feuerland schmückt, doch vom Ende der Pan Amerika sind es noch mehr als 1000 Kilometer bis Feuerland. Ich habe von Santiago aus die Pan America nur gelegentlich befahren, da sie überwiegend einer Schnellstrasse gleicht. Über kleine Nebenstrecken und Pisten bin ich auch so angekommen.
Die Insel Chiloe ist bekannt für die große Anzahl von Holzkirchen. Über 150 gibt es und einige sind als Stätten des Weltkulturerbes bekannt. Die meisten sind kleine Kapellen mit wenigen Sitzreihen und einfachst ausgestattet.
eine der vielen kleinen Kapelln auf Chiloe
Mich haben sie in ihrer Schlichtheit an die Fachwerkkirchen in Mecklenburg-Vorpommern erinnert.
Nach Chiloe geht es auf der Carretera Austral weiter. Sie ist bestimmt die schönste Strasse im Süden Chiles. Anfangs führt sie durch dichten Urwald mit Riesenfarnen und wildem Rhababer –den kann man essen, ich bin nicht daran gestorben-. Erst durch den Bau der Strasse wurde der Süden Chiles mit dem Rest des Landes verbunden. Doch auch diese Strasse erschließt nicht ganz Chile. In der kleinen Ortschaft Villa o Higgins ist Schluss, ein riesiger Gletscher versperrt endgültig den Weg. Überwiegend ist man alleine auf der Strasse.
Wenn man bedenkt, dass die einzige Straßenverbindung aus dem Norden über die Fähre von Hornopiren führt, diese nur 2x am Tag verkehrt und auf der beliebteren morgendlichen Abfahrt lediglich ca 20 Autos waren, davon bestimmt die Hälfte Urlauber und einige Motorräder, dann kann man einen Eindruck von der Abgeschiedenheit bekommen. Die erste Nacht auf der Carretera schlafe ich im Zelt. Ich finde einen leeren Campingplatz und kann mein Zelt unter einem Unterstand direkt an einem See aufschlagen. Das hat natürlich den Vorteil, dass ich morgens ein trockenes Zelt einpacken kann und der Windschutz ist auch nicht zu verachten. In der Nacht vernehme ich plötzlich Schritte und ein Lichtkegel gleitet über das Zelt, verschwindet aber sofort wieder. Am Morgen sehe ich dann, dass ein Auto auf dem Parkplatz steht. Die suchten wohl auch nur einen Rastlatz für die Nacht. Aber wenn man nachts plötzlich Schritte vernimmt, ist man, ich jedenfalls, schon recht angespannt. Der nächste Tag ist dann eine Regenfahrt und am späten Nachmittag erreiche ich die Casa Ludwig in Puyuhuapi. Ein Holzofen im Aufenthaltsraum verbreitet wohlige Wärme und so weiß ich sofort, dass ich länger als einen Tag bleiben werde. Luisa Ludwig ist Chilenin mit deutschen Wurzeln hat in Deutschland studiert und hier auch einige Jahre als Psychologin gearbeitet. Im Nationalpark in unmittelbarer Nähe gibt es einen so genannten hängenden Gletscher, der über einer Felskante wandert.
Im weiteren Verlauf der Strasse treffe ich dann auf 2 X Challenge Fahrer aus Deutschland und der Schweiz. Ich glaube, dass ist die größte Ansammlung von x Challenges, die man ausserhalb von organisierten Motorradtreffen vorfinden wird. In Deutschland sollen nur ca 3000 davon verkauft worden sein.
Ich bin jetzt ganz froh, mit einer leichten Maschine unterwegs zu sein -auch wenn diese Strasse keine zu hohen Ansprüche stellt und ich bei dem Regen hin und wieder dem Luxus des Windschutzes nachtrauere- die mich mit einer von meiner alten dicken 1150 GS nicht gekannten Leichtigkeit über die Piste trägt.
Eine Begegnung, die man vermutlich nur als Wanderer, Fahrradfahrer oder mit Einschränkungen als Motorradfahrer haben kann, muss ich noch erwähnen. Ich war bereits mehrere Stunden unterwegs und rechnete mir aus, wann ich mein Tagesziel, eine kleine Ortschaft mit einigen Hostals, erreichen würde, als ich aus den Augenwinkeln gerade noch erkennen konnte, wie mir zwei Männer vor einer Hütte zuwinkten und mir auch etwas zuriefen. Ein kurzer Prozess in meinen Gehirnwindungen kam zu dem Ergebnis, doch umzukehren und mal zu schauen, was ich da wahrgenommen habe. Mit der dicken GS hätte ich mir das Wenden auf der Strasse wohl erspart und in einem Auto sitzend wohl kaum die Szene wahrgenommen und Wenden wäre auch nicht möglich gewesen. Die Männer haben wohl gehört, dass ich angehalten habe und umgekehrt bin, denn sie warteten bereits am Zaun und luden mich auf einen Kaffee ein. Die Hütte entpuppte sich als 20“ Container mit einer vorgebauten Veranda, die Regen und Windschutz bot, aber den Blick auf die Straße freiließ. Der Container dient beiden als Schlafraum mit einem Gästebett. Auf dem offenen Grill lagen noch einige Fleischstücke, die mir auch gleich angeboten wurden. So kam ich zu perfekt gegrilltem Fleisch und auch einem Kaffee und einem wärmenden Feuer. Herz was willst du mehr. Doch was war so seltsam an diesem Ort? Einerseits die einfache Unterkunft, anderseits der neue Japanische Allrad Pickup, die Stihl Motorsäge und Stihl Motorsense und ein im Bau befindliches Bad mit deutschen Qualitätsarmaturen? Von dem Gemüsebeet hinter dem Haus kann man das nicht finanzieren. Die Erklärung fand sich dann im Verlauf des Abends. Die beiden Männer verwickelten mich sehr gekonnt in Gespräche über Gott, wobei Viktor, der ältere der beiden, der Gesprächsführer war und der zweite, dessen Name mir entfallen ist, als Übersetzer fungierte. Es wurde ein langer Abend, und da man mich zum Verweilen einlud, was ich nach erstem Zögern doch annahm, gab es noch ein weiteres Abendessen. Ich schlief dann im Zelt auf der Veranda. Am nächsten Morgen habe ich dann versucht, mehr über die beiden zu erfahren. Sie haben diese Stätte als Begegnungsstätte aufgebaut, leben normalerweise in der Nähe von Valparaiso und haben sich die Enthaltsamkeit hier selber auferlegt, es sei ihre Berufung. Es sei ein hartes Leben hier draußen, doch sie bereuen es nicht. Viktor sei vorher Geschäftsmann gewesen. Ob daher die finanziellen Mittel kommen oder eine Organisation dahinter steht, wollten sie mir nicht verraten. Natürlich besitzen sie auch noch ein Kajak, um auf dem nahen Fluss unterwegs zu sein und damit auch Besucher zum Bleiben anregen. Viktor zeigt mir noch Videos mit Aufnahmen von ehemaligen Besuchern. Am Morgen, es ist mittlerwielen fast Mittag, gibt es noch ein üppiges Frühstück mit selbst gemachter Pizza und gut gesättigt breche ich wieder auf. Die beiden haben auf jeden Fall ein Ziel erreicht. Ich habe mich schon so oft auf meinen Reisen gefragt, warum ich gerade hier oder dort abbiege und genau dann interessante Leute treffe. Anderseits kann es natürlich auch sein, dass die Welt voller interessanter Leute ist und man muss nur offen dafür sein. Wie pflegte immer eine ehemalige Kollegin zu sagen: „Wir hören gerne den Klang unserer eigenen Stimme.“ wenn es um Abschlussbesprechungen nach den durchgeführten Qualitätsprüfungen ging. Vielleicht sollten wir einfach mehr zuhören. Viktor interpretierte das natürlich damit, dass nur einer meine Wege lenkt und mir gesagt hat: Kehr um.
Doch jetzt nicht mehr so schwere Themen. Weiter geht es auf der Carretera Austral bis nach Cochrane, der Provinzhauptstadt mit sagenhaften 3000 Einwohnern. Wie alle Städte in Chile schmückt sie sich mit einer schönen Plaza die als Park gestaltet ist. Hier will ich in Erfahrung bringen, ob der Übergang über den Paso Mayr befahrbar ist. Bereits seit Jahren wird dran gearbeitet, doch fehlen auch jetzt noch Brücken auf argentinischer Seite, so dass ich von Cochrane wieder zurück fahre, um den Übergang in Chile Chicco zu nehmen. Die Strecke wurde mir von vielen empfohlen und ich kann dieses nur bestätigen. In meinen Augen zwar nicht ganz so spektakulär wie die Carretera Austral, doch führt sie über viele Kilometer am Lago General Carrera, der auf argentinischer Seite Lago Buenos Aires heißt, vorbei. Unterwegs genieße ich noch einmal die Gastfreundschaft eines Chilenen, der mich spontan zu einem Kaffe in seinem Haus einlädt. In der Küche auch hier ein warmer Herd und zum Kaffee gibt es noch ein frisch gebackenes Brötchen und ein Stück Schmalzgebäck, das gerade zubereitet wurde.
Nach Chile Chicco erfolgt die Einreise nach Argentinien, der erste von 5 Grenzübertritten zwischen Chile und Argentinien, und über die Ruta 40 Richtung Süden, der Kälte entgegen.
Gerd
Dann bin ich mit meiner Darstellung der Reise bereits am 17.12.2015 angelangt. Mein Ziel, Sylvester in Ushuaia zu sein ist damit in greifbare Nähe gerückt.
Posted in Südamerika by gerdjanke with 2 comments.
Gut geschriebener Reisebericht, der uns sehr gefallen hat. Wir denken immer noch an unsere Frühstücks- Begegnung in einem Hostal in Chile Chico. Unsere Reise hat uns über Nordamerika, die Südsee nach Tasmanien geführt. Leider müssen wir Neuseeland aus gesundheitlichen Gründen „links liegen lassen“. Wir müssen uns auf den Weg nach Hause machen.
Ihnen alles Gute und noch viele erfreuliche Reiseerlebnisse.
Heribert und Winni Winkler
Begegnungen sind für mich die wichtigsten und nachhaltigsten Reiseerlebnise. Namen bleiben nicht so sehr haften, doch die Gespräche bleiben im Gedächnis. Ich wünsche ihnen für ihre zukünftigen Reisen viel positive Erlebnisse und für den Sommer schöne Segelerlebnisse.
Gerd