Toleranz – unter Reisenden
Bevor ich mit dem 2. Teil meiner Südamerikaberichte beginne will ich hier meine Gedanken zum Thema “ Toleranz und Akzeptanz unter Reisenden/Urlaubern “ niederschreiben, auch unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Reisearten. Die geschilderten Erlebnisse treffen natürlich nicht auf alle zu. Meine Gedanken können ja nicht zu einem Shitstorm führen. Und wenn sie es denn täten wäre es mir auch recht.
Das Thema beschäftigt mich schon seit meiner ersten Tour nach Gambia im Winter 2010. Ich hatte kurzfristig einen Platz als Beifahrer bei einer Gruppe Autoschiebern bekommen. 300 Euro hat mich das Erlebnis gekostet. Dafür konnte ich in einem alten Camperbus auf einer Lage alter Kühlschränke schlafen und abends gab es Dosenravioli. Dazu ausgiebig alkoholische Getränke. Der Vorrat mußte ja bis zur mauretanischen Grenze vernichtet werden, da der Zoll gerne Alkohol beschlagnahmt.
Ein kurzer Abstecher zu den Autoschieber. In Deutschland werden alte, fast schrottreife Autos gekauft, gerne Mercedestransporter ohne viel Elektronik. Die werden dann mit eben soviel Schrott vollgepackt, der dann unterwegs, z.B in Marokko verkauft wird. Auch alte Kleidung findet hier Absatz. Damit und mit mir als Beifahrer finanziert sich heute der Autoschieber. Ich komme zum Schluss noch einmal auf die neue Variante der Autoschieber zurück.
Unser Leitwolf, ich nenne ihn hier mal Gustav, äußerte sich abends in der Runde äußerst abfällig über die Wohnmobilfahrer. War es Neid über den Komfort der anderen? Er fühlte sich auf jeden Fall wie der einzig wahre Reisende. Einer seiner Aussprüche blieb mir im Gedächtnis. „Die sch… in ihr Wohnzimmer“ Im ersten Moment habe ich nicht weiter darüber nachgedacht, doch der Satz blieb bei mir hängen.
Einige Zeit später bekam ich einen Hinweis auf einen Artikel eines Schweizer Soziologen mit dem Titel: „Die Tragik des Touristen – was der Tourist am wenigsten mag sind andere Touristen.“
Das bestätigte mich, dass ich mit meinen Überlegungen zur Toleranz unter Reisenden nicht auf dem Holzweg war. Wie als Bestätigung, dass man kein 08/15 Tourist sei, habe ich oftmals gehört, man habe nur den Hin- und Rückflug gebucht hat. Den Rest lasse man auf sich zukommen. Bei Nachfragen kamen dann doch recht konkrete Zeitpläne zum Vorschein. Es ist ja nicht verwerflich, den Urlaub, vielleicht hat man ja nur 3 Wochen zur Verfügung, zu planen und seinen Bedürfnissen anzupassen. Wenn jemand unbedingt in drei Jahren alle 1052 Weltkulturerbestätten -Stand Juli 2016- abklappern will, dann soll er eben. Ein solches Paar habe ich in Afrika getroffen. Sie haben eben andere Dinge gesehen als ich. Und in drei Monaten läßt sich die Welt mit einem „Round the world“ Ticket auch umrunden. Auch diese Touristen/Reisende sollte man tolerieren. Ich muß ja nicht alles akzeptieren. Ein anderer von Touristen gerne gebrauchter Satz ist, dass man diesen oder jenen Ort nicht besuche, da er touristisch überlaufen sei. Wie wäre ohne eine nicht unerhebliche Anzahl Touristen denn sonst Machu Picchu erreichbar oder die Iguazu Wasserfälle oder oder…..
In eine andere Richtung weisen abfällige Bemerkungen über andere Reisende, wenn sie anders Reisen als man selbst. Doch hier gibt es eine Besonderheit. Nicht der Luxustourist oder Pauschalurlauber in einer geführten Reise lästert über den Individualtouristen sondern genau entgegengesetzt. Der Hostelreisende lästert über den Sternehotelreisenden. Oder wie eingangs erwähnt wird über den Reisenden im (Luxus)wohnmobil gelästert, aber nur von denen, die bescheidener unterwegs sind. Bei Sturm und Regen in Patagonien habe ich sehr wohl die heiße Tasse Tee in einem Wohnmobil am Rande der Straße genossen.
Auch in Reiseblogs findet man entsprechende Passagen. OK, einen Reiseblog schreibt im Regelfall nicht der Dreiwochenurlauber. Ist man deshalb der „bessere Reisende“, nur weil man keine organisierten Touren mitmacht? Leider findet man häufig abfällige Bemerkungen über andere, die nicht jede Sehenswürdigkeit, jedes Ziel unter Strapazen erreicht haben. Bis vor einigen Jahren habe ich über die Doppeldeckersightseeingbusse geschmunzelt. Jetzt habe ich den Reiz einer solchen Fahrt schätzen gelernt. Ich habe immer den Blick in das 1.Stockwerk, erkenne, was sich über den herausgeputzten Fronten des Erdgeschosses abspielt. Es sind ja meist nur 2 oder 3 Stunden, die solch eine Fahrt dauert.
Jeder sollte die Reiseform der anderen tolerieren. Die 5 Sternelodge in Afrika gehört genauso dazu wie der Buschcamper. Und wenn ich die Reiseform nicht akzeptieren kann, so sollte ich sie wenigstens tolerieren, jedenfalls die meisten Reiseformen. Wo zieht man aber die Grenze, was noch zu tolerieren ist. Die sogenannten Gr0ßwildjäger gehören da schon zur sehr zweifelhaften, abzulehnenden Spezie von Reisenden.
Eine Einschränkung möchte ich bei meiner ganzen Toleranz noch machen. Jeder sollte Bedenken, dass er Gast im jeweiligen Land ist. Deshalb kommt zum Schluss noch ein Negativbeispiel, das ich selber im Senegal erlebt habe. Mittlerweilen sind die sogenannten Charityrallys in Mode gekommen. Gegen eine oftmals nicht unerhebliche Teilnehmergebühr fährt man mit seinem eigenen Fahrzeug in der Regel nach Mauretanien oder Gambia. Die Fahrzeuge werden dann verkauft oder versteigert und der Erlös gespendet. Bei den Fahrzeugen handelt es sich meist um alte, fast schrottreife Autos, meist nur noch mit kurzer „TÜV“ Laufzeit. Aussage eines Teilnehmers am Ziel der Reise.: „Den Afrikanern kann man nicht helfen. Schenkt man denen einen Kugelschreiber machen die sowieso gleich alles kaputt.“ Bei solchen Sätzen hört auch bei mir die Toleranz gegenüber anderen Reisenden auf.
Jetzt bemühe ich mich, für den weiteren Teil meiner Reise ein guter Reisender zu sein.
Gerd
PS.: ich bin in Moyobamba/Perua angekommen, wo mein erster Südamerikaaufenthalt ei jähes Ende nahm und in 2 Tagen geht es weiter Richtung Brasilien und Bolivien. Von den 51 Tagen, die mir der Zoll in Peru noch bewilligt hat sind bereits 14 Tage verstrichen.
PS.: unter den Hinweisen, die ich per mail bekommen habe, möchte ich zwei noch aufgreifen. Der erste betrifft genau den Aspekt Toleranz, Akzeptanz. Leider gibt es unter Reisenden auch die Gruppe der Schmarotzer. dabei sind nicht einmal die gemeint, die sich gerne überall einladen lassen, sondern die, die nach einer Einladung ihr Smartphone zücken, und den Rest der Zeit bei ihren Gastgebern das W-Lan nutzen. Damit stehlen sie ihren Gastgebern die Zeit. tolerieren ja, aber akzeptieren, nie!!!
Einen weiteren Hinweis übernehme ich auch. Jeder soll , wie es ihm gefällt. Dann können wir Individualreisende unseren EGO voll ausleben.
Posted in Reisegedanken by gerdjanke with 1 comment.
Hallo,
schön wieder etwas zu Lesen.
Mit der Toleranz ist das so eine „Sache“
In so manchen Fall sollte man den Begriff
Tolerant neu überdenken.
Den ändert sich eine Situation bzw. ein
Umstand, so kann sich auch durchaus im speziellen
Toleranz ändern. Die Steigerung der Toleranz ist
Akzeptanz: Toleranz ist relativ, Akzeptanz ist absolut
Nicht überall, wo Toleranz geübt wird, ist sie auch
vernunftorientiert.
Bis zum nächsten Bericht.
Besten Gruß von Etsche