Vier Tage Filadelfia bei den Mennoniten
Vier Tage Filadelfia – Besuch bei den Mennoniten
Miriam, eine Schweitzer Backpackerin, erzählte im Hostal in Ciudad del Este, dass sie auf jeden Fall noch nach Filadelfia wolle, jedoch nicht wisse, wie sie das mit ihren anderen Zielen vereinbaren kann. Mir war der Ort vorher ganz unbekannt. Ein in Conception, Paraguay lebender Deutscher meinte nur, es lohne sich nicht, dorthin zu fahren. Es ist eine weitläufige Ansiedlung mit staubigen Strassen und in der Ortsmitte gibt es zwei kleine Museen. Und ohne Fahrzeug ist man eh aufgeschmissen. Das Gespräch fand vor der Flussfahrt auf dem Rio Paraguay statt, die ich ja, wie schon bekannt, wegen des Denguefiebers abbrechen musste. Trotzdem sind mir die Gespräche in Erinnerung geblieben, und so machte ich mich, nachdem mein Motorrad mit einem neuen Federbein versehen war, auf den Weg nach Filadelfia – ohne große Erwartungen. Am späten Nachmittag erreichte ich Filadelfia und der erste Eindruck entsprach den Schilderungen des Deutschen aus Conception. Ich suchte also das Hotel Florida, dass angeblich auch Budgetzimmer haben soll. Bei meiner Ankunft stellte sich aber heraus, dass das eine Fehlinformation war. 200000 Guarani soll die Nacht kosten, dass sind ca 30 Euro und liegt für Paraguay weit über meinen Vorstellungen. Als ich das beim Hotelmanager, in bestem Deutsch, anspreche, empfiehlt er mir ein preiswerteres Hotel. Ich schaue mir dieses Hotel auch an, und nichts würde gegen einen Verbleib dort sprechen, doch ich Entschied mich, keine Ahnung, warum, für das Hotel Florida. So nahm ich dort auch mein Abendessen ein und führte noch ein längeres Gespräch mit dem Hotelmanager. Dadurch bekam ich auch einen ersten Eindruck über das Leben der Mennoniten in Filadelfia. Auch das Hotel Florida gehört zu den Wirtschaftsunternehmen der Cooperative der Mennoniten. In der Region Filadelfia gibt es 4 Cooperativen der Mennoniten mit über 50 Dörfern.
Der Hotelmanager empfiehlt mir noch, am nächsten Tag die Touristeninformation aufzusuchen. Frau Harder gäbe gerne und umfangreich Auskunft.
Nach einem ausgiebigen Frühstück am nächsten Tag brauchte ich nur die Straße zu überqueren und war bereits in der Touristeninformation. Frau Harder gab gerne und Umfangreich Auskunft zur Geschichte der Mennoniten in Paraguay und auch über die gesellschaftlichen Strukturen innerhalb der Gemeinden. Es wird unterschieden nach den wirtschaftlichen Bereichen einerseits und den sozialen Bereichen anderseits, in die die Gelder aus den Wirtschaftunternehmen fließen.
Im Museum konnte ich die „Wanderwege“ der Mennoniten verfolgen, von Deutschland nach Russland, von dort wegen der Verfolgungen nach Canada und USA und vor ca 90 Jahren die Einwanderung nach Paraguay. In Paraguay sollte sie nach offizieller Lesart fruchtbarer Boden erwarten. Doch sie landeten letztendlich im Nirgendwo mitten im Chaco. Es gab keine Wege und das Land war fast unberührt. Auch heute ist die Region kaum erschlossen und erst zum Ende des letzten Jahrhunderts wurde eine Straße von Asuncion in den Chaco gebaut. Vorher war die einzige Möglichkeit der Rio Paraguay und anschließend eine mehrtägige Reise mit Ochsenkarren, um das Siedlungsgebiet zu erreichen. Diese Abgeschiedenheit ist sicherlich auch ein Grund, dass sich die deutsche Sprache hier gehalten hat. Untereinander sprechen sie auch noch Plattdeutsch, also für Bayern absolut unverständlich. Franz, ein junger Motorradfahrer, meinte, dass das Plattdeutsch auch ein Teil der Identität ist und hofft, dass die Sprache weiterhin erhalten bleibt.
Ich glaube, wenn man sich die Erzählungen über die Besiedlung anhört, trifft auch hier das norddeutsche Sprichwort über die Moorkolonien zu: Den Ersten der Tod, den Zweiten die Not, den Dritten das Brot“
Von den Anfängen der Besiedlung ist heute nichts mehr zu sehen. Die Mennoniten gelten als ausgesprochen erfolgreiche Farmer, die Rindfleisch auch weltweit exportieren. Gewundert habe ich mich, dass trotz des wirtschaftlichen Wohlstandes nur die Hauptstraße asphaltiert ist und alle anderen Straßen auch die Verbindungstraßen zu den Dörfern Naturpisten, hier sagt man Erdstraßen, sind. Man habe keine Notwendigkeit gesehen, hierfür die Gelder auszugeben. Dafür habe man in Schulen und auch in ein Krankenhaus investiert. So kommen z.B auch regelmäßig Fachärzte aus Asuncion nach Filadelfia.
Durch Frau Harder konnte ich einige Einrichtungen kennen lernen. So gibt es hier eine Werkstatt für Behinderte, die mit einer deutschen Werkstatt vergleichbar ist, nur mit weniger Bürokratie. Doch werden auch hier von den Behinderten Gebrauchsgegenstände angefertigt, teils auf Bestellung, teils aber auch auf Vorrat. Der Renner sind Gattertore, wo man mit der Produktion kaum nachkomme. In der Gesprächsrunde mit den Anleitern konnte ich die Unterschiede aber auch die Gemeinsamkeiten mit deutschen WfB`s feststellen. Mehrere Anleiter waren auch in Deutschland um in ähnlichen Einrichtungen Erfahrungen zu sammeln, hoffentlich nicht in der ausufernden Dokumentation.
Die Berufsschule, die ich am Folgetag besuchte, orientiert sich in der Ausbildung am deutschen dualen System. Es gibt zwar keine Ausbildungsrahmenpläne und auch keine Prüfungsabschlüsse im Sinne eines Berufsabschlusses, doch meint der Leiter, diese Einrichtung sei hinsichtlich der Qualität der Ausbildung sicherlich die Beste in Paraguay und auch auf Südamerika bezogen zählt man bestimmt zur „Ersten Adresse“ Ich konnte mich bei einem Rundgang mal wieder nicht zurückhalten und gab einige Verbesserungsvorschläge, da ich in meiner letzten Tätigkeit ähnliche Einrichtungen in Deutschland überprüft habe. „Wenn ich das nächste mal nach Filadelfia komme, werde man einiges davon umgesetzt haben“ war die für mich angenehme Antwort des Schulleiters zu meinen Vorschlägen.
Auch der Hauswirtschaftschule stattete ich einen Besuch ab. Bei den Mennoniten hat die Familie einen hohen Stellenwert und es gibt auch heute noch viele Familien mit 6 oder mehr Kindern. So stellte die Hauswirtschaftschule in den Anfängen eine Vorbereitung auf die Führung eines Großhaushaltes da. Das hat sich heute gewandelt und die Ausbildung zielt auf eine Berufstätigkeit ab. Man hat auch neue Bereiche in die Ausbildung eingebunden, z.b Sozialassistentin, um in den Kindergärten zu arbeiten. Trotz alledem verlassen auch heute noch viele junge Frauen die Schule, um anschießend den eigenen Haushalt zu führen. Ich habe allerdings auch mit Frauen gesprochen, die auch hier gesagt haben, dass erst die Ausbildung, zum Teil auch das Studium in Deutschland, Canada oder den USA kommt, danach die Berufstätigkeit und dann die Familienplanung.
In den drei Einrichtungen spürt man sehr intensiv den deutschen Einfluss. Alle Einrichtungen wurden auch aus Deutschland unterstützt, insbesondere aus Bayern, wobei ich auf das bayrische Verhältnis zu Paraguay in einem nächsten Beitrag noch einmal zu sprechen komme, und das ist keine schöne Seite. Das hat aber nichts mit den Mennoniten und Filadelfia zu tun.
Am 2. Abend im Hotel spricht mich plötzlich jemand an, der mein Motorrad gesehen hat. Er kommt aus Filadelfia, lebt jetzt aber in Deutschland im Landkreis Verden und mein Motorrad hat das Kennzeichen VER für Verden. Dann stellt sich auch noch heraus, dass er in der gleichen Gemeinde im Landkreis wohnt, in der ich aufgewachsen bin. Die Welt ist schon klein. Jetzt ist er auf Verwandtschaftsbesuch. Dadurch komme ich noch mit einem Lehrer ins Gespräch. Seiner Bitte, am nächsten Tag in seiner Klasse etwas von meiner Reise durch Afrika zu erzählen, komme ich gerne nach.
Und die Zufälle nehmen kein Ende. Nach dem Vortrag werde ich noch in das Lehrerzimmer eingeladen und es gibt leckeren Kuchen, da es gerade das monatliche Geburtstagsfrühstück gibt. Hier kommt noch der Kontakt zum Radiosender zu Stande und so endet mein Aufenthalt in Filadelfia mit einem Interview im örtlichen Radio.
So sind aus „das lohnt sich kaum“ vier ereignisreiche Tage geworden, die bestimmt zu den Höhepunkten meiner Tour durch Paraguay zählen. Ich habe die Mennoniten als moderne weltoffene Menschen kennengelernt. In Filadelfia habe ich dann auch erfahren, dass der Arzt, den ich in Asuncion aufgesucht habe, auch aus der Region stammt. Daher kam auch der deutsche Name des Arztes und sein Plattdeutsch.
Eine Begegnung hätte ich fast vergessen. Franz, ein KFZ-Mechaniker aus Filadelfia ist auch begeisterter Motorradfahrer. Er hat sich eine neue Yamaha Tenere angeschafft. Sein Hauptkriterium war: Sie muss Chacotauglich sein. Bei seiner letzten Offroadtour durch den Chaco hat sie es auch unter Beweis stellen müssen. Und auch einen Sturz hat sie ohne Blessuren überstanden. Zum Glück war er mit Freunden unterwegs, so sein Kommentar zum Sturz Auf Grund der vielen Regenfälle in den letzten Tagen würde er mir von einer Tour durch den Chaco abraten, zumal, wenn ich beabsichtige, alleine zu fahren. Ich habe den Rat befolgt.
Ich bilde mir nicht ein, jetzt das Leben und die Gesellschaft der Mennoniten zu kennen. Doch werde ich jetzt, wenn ich etwas über die Mennoniten lese, es besser verstehen. Es sollen ca. 37000 Mernnoniten in Paraguay leben und damit ist Paraguay das Hauptsiedungsgebiet in Südamerika.
Gerd
aus wikepedia:Mennoniten sind eine evangelische Freikirche, die auf die Täuferbewegungen der Reformationszeit zurückgeht. Der Name leitet sich von dem aus Friesland stammenden Theologen Menno Simons (1496–1561) ab. .
Verfolgungen in Europa führten bis ins 20. Jahrhundert immer wieder zur Auswanderung von Mennoniten und anderen Täufern. Heute sind die Mennoniten weltweit verbreitet.
Posted in Südamerika by gerdjanke with 2 comments.
ich war 2011 2 wochen in paraguay bei freunden in asunción. einige tage davon verbrachte ich im chaco, filadelfia.
hat mir auch sehr gut gefallen :-`)
p.s. danke für den interessanten bericht!
Hallo,
Interessanter Bericht,
und schon habe ich wieder
etwas dazu gelernt.
Besten Gruß von Etsche